Zum Jahresende Poem by Wolfgang Steinmann

Zum Jahresende

Rating: 4.5

Das Glas ist voll, die Pfeife glüht,
Die Kammer liegt im Dämmerlicht;
Ich sitz am Feuer unbemüht,
Das alte Jahr, ich halt' es nicht.
Gedanken schwirren mir im Kopf,
Der ich durch Jahr und Tage stob;
Erinn'rung fasst mich hart am Schopf:
Der Schulden viel und wenig Lob.

Im Lauf der Zeit das Jahr versinkt
Verbeugt sich tief und sagt: ‘Adieu! '
Nicht lange mehr, die Glocke klingt,
Mach hoch die Tür - und geh'.
Du siehst so traurig aus und grau,
Hast du gar Schmerzen, Altes Jahr?
Es bitten dich heut' Mann und Frau:
Sag' uns was gut, was übel war.

So lass uns lesen dein Gesicht,
Du Sphinx, unnahbar, kalt und fahl:
Was du geseh'n, wir wissen's nicht.
Weinst Mutter du um den Gemahl,
Den du geliebt, der nun so weit?
Weinst Mädchen, du zu später Stunde
Um Liebe, die geraubt die Zeit?
Ist dies des alten Jahres Wunde?

Und, Nachbar, der du deinen Leib
Umgürtet hast mit Pelz und Pracht,
Was siehst du in dem alten Weib,
Das dich so froh und glücklich macht?
Wie kommt's, dass du voll Hoffnung bist?
Was war dein Vorteil und Gewinn?
Gelegenheiten? Optimist!
Was, glaubst du, hat das Jahr im Sinn?

Und du, dem Schwermut Schwester war,
Was sieht dein Auge, unerfreut?
Der du mit Unheil und Gefahr
durchwebst das Gestern und das Heut',
Welch böse Triebe siehst du walten,
Du armes, krankes, wildes Wesen,
Welch Unglück wird sich noch entfalten?
Wie war das Jahr, das g'rad gewesen?

So suche ich; von Angesicht
Zu Angesicht mein Auge fliegt:
In manchen glimmt der Hoffnung Licht,
Auf andren tiefe Trauer liegt.
Verzweiflung hier, dort heit're Ruh',
Und Hoffnung, Freude, Schmerz und Weh'
Genug! Genug! Den Vorhang zu!
Du müdes Jahr! Jetzt geh' nur, geh'!

Das Glas ist leer, die Pfeife kalt,
Im Stundenglas verrann der Sand.
Doch eh' du gehst, mein Jahr so alt,
Und ich dem Neuen reich die Hand,
Will ich dir sagen, was ich denk':
Gefährten war'n wir, du und ich -
Ich danke Gott für dies Geschenk.
Doch nun: Leb' wohl! und hebe dich!

(nach Robert William Service: The Passing of the Year)

This is a translation of the poem The Passing Of The Year by Robert William Service
Monday, January 11, 2016
Topic(s) of this poem: new year
COMMENTS OF THE POEM
Kamiel Choi 02 May 2018

Excellent translation!

0 0 Reply
Michael Morgan 11 January 2016

Some like Service. I don't, particularly. But this is an extremely good translation, as far as I can tell. MM

0 0 Reply
Wolfgang Steinmann 11 January 2016

Thank you for the encouraging words. Wolfgang

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